
Saturnia pavonia und Saturnia pavoniella
(Lepidoptera: Saturniidae)
von Wolfgang A. Nässig
In Europa existieren nach heutiger Kenntnis mindestens
zwei unterschiedliche Arten des Kleinen
Nachtpfauenauges: Saturnia (Eudia) pavonia
(LINNAEUS, 1758) im Norden und Saturnia
(Eudia) pavoniella (SCOPOLI,
1763) im Süden, mit noch ungeklärten Verhältnissen in
Südfrankreich sowie auf der Iberischen und der
Balkanhalbinsel. (Für weitere Informationen, Details zu
den Unterschieden und Literaturhinweise siehe unter der
URL
http://www.saturnia.de/forum/pavonia-pavoniella-2005.pdf,
Filegröße etwa 610 KB.)
In der Literatur wurde die südliche Art pavoniella
oft als ligurica oder meridionalis
bezeichnet; diese Namen sind aber beide deutlich jünger,
pavoniella hat eindeutig Priorität. Es handelt
sich also nicht, wie im Forumsbeitrag von Andreas Löhr,
Re:
Saturnia pavonia oder pavoniella? *Bild*, vom
12. März 2005 um 19:16 Uhr, angemerkt, um eine geographische
Variante, sondern um getrennte Arten! (Übrigens:
Auf den beiden Bildern kann man leider nicht zweifelsfrei
erkennen, um welche Art es sich handelt ... wo stammt das
abgebildete Männchen her?)
Diese zwei Arten definieren sich in erster Linie durch
die Infertilität der weiblichen und der meisten männlichen
F1-Hybriden sowie morphologische Merkmale (einschließlich
Genitalmorphologie). Die zwei Arten überlappen lokal,
und vereinzelt kann trotz weitgehender genetischer
Isolation immer noch etwas Introgression auftreten.
Die wesentlichen differentialdiagnostischen Merkmale
von S. pavoniella und S. pavonia wurden
bei Jost et al. (2000) und Huemer & Nässig (2003)
dargestellt. Hier eine Zusammenfassung für die Auflösung
des Rätsels:
Das als Rätsel vorgelegte Foto stellt einen
Ausschnitt aus dem Bild (siehe Bild 1) eines Weibchens
von Saturnia pavoniella aus Istrien dar. Man
erkennt die notwendigen diagnostischen Merkmale zur
Identifikation ohne Probleme:
1) Der Hinterleib ist relativ eintönig graubraun gefärbt;
damit fallen sowohl Saturnia spini wie auch Saturnia
pavonia heraus, die beide einen deutlich schwarz-weiß
beziehungsweise grau-weiß geringelten Hinterleib haben.
2) Die Submarginal- und Postmarginalbinden des
Hinterflügels nähern sich zwischen Augenfleck und
Innenrand (= Analrand) deutlich an, wobei die
Postmarginalbinde dann deutlich zum Analwinkel des
Innenrands hin wegbiegt. Auch dies ist ein typisches
Merkmal für S. pavoniella und schließt S.
pavonia aus (siehe Bild 2).
Für die Männchen stimmt das zweite Merkmal (Bindenverlauf)
genauso wie für Weibchen (siehe Bild 3), nur das erste
Merkmal (Färbung des Hinterleibs) trifft nicht zu. Dafür
sind deutliche Unterschiede im männlichen Genitalapparat
zu finden (Bild 4). Die Genitalunterschiede im weiblichen
Genitalapparat sind nicht sehr deutlich.
Die Unterschiede im Genitalapparat der Männchen sind
so auffällig, daß es nur die generelle Bequemlichkeit
der jeweiligen Bearbeiter, die keine Lust hatten, bei
beiden Populationen Genitalpräparate zu kochen (bedauerliches
Motto: So etwas macht man doch nicht bei so großen
und häufigen Arten!), erklären kann, warum diese
Erkenntnis bisher in den meisten Bestimmungsbüchern
vollkommen ignoriert wurde. Deswegen schauen die meisten
Entomologen auch im Freiland nicht wirklich hin, weil
man bei so häufigen und überall vorkommenden Arten doch
eh nichts Neues mehr finden kann ... eine sich
selbst in den Schwanz beißende Problemfalle!
Nur wenige untersuchte Falter von S. pavonia
aus der Nordschweiz und die Mehrzahl der Falter aus Südfrankreich
und Nordostspanien waren mit diesen Merkmalen nicht
eindeutig zuzuordnen; auch bei einigen intermediären
Stücken (= Hybriden?) versagen sie manchmal.
Auch die Präimaginalstadien lassen sich zumindest bei
ganzen Jungraupengruppen in der Regel gut unterschieden,
nur bei Einzeltieren kann es Probleme geben (siehe den
oben angegebenen Link zum .pdf-File!). Das Raupenbild in
dem Forumsbeitrag Saturnia
pavoniella *Bild* Geschrieben von: Walter Schön
vom 11. März 2005 um 18:35 Uhr zeigt (wie es in Kroatien
auch nicht anders zu erwarten ist!) eine eindeutige Raupe
von Saturnia pavoniella.
Um die weiterhin vorhandenen Probleme untersuchen und
klären zu können, haben wir eine DNA-Untersuchung
geplant, für die wir um Mitarbeit in Form von
Materialanlieferung bitten. Siehe dazu unseren Aufruf zur
Mitarbeit:
Liebe Freunde und Kollegen,
das taxonomische und
biogeographische Problem der Gruppe von Saturnia
pavonia und S. pavoniella braucht
unbedingt wissenschaftliche Hilfe. Wir, das sind
Wolfgang A. NÄSSIG vom Senckenberg-Museum in Frankfurt
und Thomas SCHMITT von der Biogeographie der Universität
Trier, wollen diesen Spinnern helfen, sich selbst
besser zu verstehen.
Spaß beiseite, die
Taxonomie und Biogeographie von Saturnia pavonia
und S. pavoniella ist ... [weiterlesen]
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